video_label

Haushaltsrede von Ingeborg Gekle-Maier setzt neuen Akzent: Bauwende


 

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Broß, meine sehr geehrten Damen und Herren,


„Finanzielle Unwägbarkeiten und viele Zukunftsaufgaben – vor diesem Dilemma stehen die Städte und Gemeinden in der Corona-Pandemie und mit Blick auf das vor ihnen liegende „Jahrzehnt der Transformation“. Patrick Holt, Erster Beigeordneten des Gemeindetages Baden-Württemberg bringt es mit dieser Situationsbeschreibung auf den Punkt.

Fraktionssprecherin Ingeborg Gekle-Maier


 

Finanzielle Unwägbarkeiten

 

Unsere Haushaltslage ist auch im 3. Corona-Jahr sehr angespannt. Dass diese nicht prekär ist, verdanken wir dem Konjunkturpaket des Bundes Mitte 2020, einer unerwartet starken Konjunkturentwicklung in 2021, unserem Finanzpolster aus den Jahren vor Corona ebenso wie unseren Beschlüsse zu Haushaltssperre und Nachtragshaushalt in 2020. Auch die aktuelle Einsparliste der Haushaltsstrukturkommission verbessert unsere Finanzen um 1,3 Mio. €.


Dennoch, neue finanzielle Unwägbarkeiten erwarten uns, die Corona-Pandemie hat seit der November-Steuerschätzung 2021 an Dynamik gewonnen, weitere Steuerausfälle und pandemiebedingte Mehrbelastungen sind vorprogrammiert, zurückgehende Zuweisungen aus dem Länderhaushalt ebenfalls. Neue Rettungsschirme von Bund und Land sind nicht zu erwarten.

 

Viele Zukunftsaufgaben – das Jahrzehnt der Transformation

 

Trotz klammer Kasse erwarten uns viele Zukunftsaufgaben und Rekordinvestitionen. Bund und Länder haben ein Jahrzehnt der Transformation in den Bereichen Bildung, Betreuung, Digitalisierung, Klimaschutz, Klimaanpassung und Mobilität ausgerufen. Neue Investitionsbedarfe werden entstehen, ambitionierte Programme der neuen Bundesregierung bei Klimaschutz und Digitalisierung und die notwendigen Transformationsprozesse der Wirtschaft werden auch bei uns ankommen.


Das können wir nicht aus eigener Kraft stemmen, dafür benötigen wir finanzielle und personelle Mittel von Bund und Land und passgenaue, unkomplizierte Förderprogramme, die uns zeitnah die beantragten Gelder bereitstellen. Damit wir nicht wieder ganze vier Jahre auf einen Förderbescheid warten müssen, wie gerade jetzt bei der Stelle „Koordination kommunaler Entwicklungspolitik“ geschehen.
In Rottweil starten wir 2022 vorsichtig optimistisch mit einem veranschlagten Gesamtergebnis von -362 TSD € statt des im 1. Haushaltsentwurf angesetzten Fehlbetrag von 1,8 Mio. €. Aber der Haushaltsausgleich erfordert von uns in 2022 einen Rückgriff auf unsere Rücklagen und erst ab 2023 wieder Überschüsse im Ergebnishaushalt.


Ambitioniert und zukunftsorientiert kann in Rottweil von einer bloßen Mängelverwaltung nicht die Rede sein. Wir planen keinen „Long-Covid“- Investitionsrückstau. Im Gegenteil, unser Investitionsprogramm für die Jahre 22 –25 überschreitet die 100 Mio. €-Grenze, allein 2022 fließen 28,3 Mio. € in laufende und neue Investitionsprojekte. Zur Finanzierung verbrauchen wir unsere liquiden Mittel bis auf die gesetzliche Mindestgröße, 2025 planen wir mit einer Kreditaufnahme von 7,4 Mio. €.

 

Rentierliche Schulden, wie wir Grünen meinen, die uns wichtige Zukunftsinvestitionen in die Stadtentwicklung ermöglichen.

 

Bildung, Betreuung

 

Die Nettoressourcenverbräuche im Betreuungsbereich haben sich in den letzten 10 Jahren 2,7-verfacht, eine Steigerung um 5,1 Mio. €. Der vorliegende Haushalt beinhaltet neue Stellenanteile für Medienkoordination, Schulsozialarbeit, die Krippe „Eselsohr“ und den Kindergarten Armlederanlage, eine pädagogische Fachkraft Kindergarten, sowie die Leitungsfreistellung der Kindertagesstätten. Endlich wird 2022 auch die U3-Betreuung in Neukirch realisiert, der dafür erforderliche Umbau ist mit 80 TSD € berücksichtigt. Zur Finanzierung des weiteren Ausbaus der Betreuungsplätze und der Ganztagesbetreuung in den Grundschulen ab 2026 benötigen wir die finanzielle Unterstützung von Bund und Land und natürlich weitere Fachkräfte für dieses menschlich und fachlich so anspruchsvolle Aufgabenfeld.


Investitionen in Schulraummodernisierung und Betreuungseinrichtungen gehören zu den „dicksten Posten“ in unserem Haushalt. DHG-Sanierung und Teilneubau, AMG-Sporthallen-Neubau, Generalsanierung Achert-Schule und der Umbau der ehemaligen Edith-Stein-Schule kosten uns im Zeitraum 22 –25 insgesamt 19,2 Mio. €.


Viel Geld für die Schulstadt Rottweil. Auch wir sind daher gespannt auf die Ergebnisse des Strukturgutachtens, das erforderliche Investitionen qualitativ und standortbezogen optimieren soll.

 

Digitalisierung


„Per Mausklick durchs Rathaus“, dank Onlinezugangsgesetz werden sämtliche Verwaltungsdienstleistungen bis Ende 2022 digitalisiert. Corona hat uns allen gezeigt, ohne Smartphone oder Tablet geht nichts mehr. Auch der Rottweiler Gemeinderat arbeitet seit letztem Jahr papierlos. Wie im Bildungsbereich ist eine Zusammenarbeit ohne digitales Know-how und Infrastruktur nicht mehr möglich. Das führt im Stellenplan zu 4 zusätzlichen Personaleinheiten in den Bereichen Organisation und EDV. Quer durch alle Teilhaushalte (einschließlich Schulen) summieren sich EDV-Ausgaben auf etwa 1,4 Mio. €.

 

Klimaschutz, Klimaanpassung und Mobilität


Die Kommunen sind die wesentlichen Akteure der anstehenden Strom-, Wärme-, Verkehrs- und Bauwende. Den Energieverbrauch der kommunalen Gebäude senken, Ökostrom beziehen, Sonnenenergienutzung durch geeignete Bauleitplanung ermöglichen, Nahwärmeinseln mit Kraft-Wärme-Kopplung und Wärmepumpen betreiben, durch vielfältige Maßnahmen den motorisierten Individualverkehr reduzieren, den öffentlichen Personennahverkehr und das Radfahren attraktiv machen, Wärme aus kommunalen Abwässern gewinnen, Straßenbeleuchtung umrüsten... schier endlos sind die Möglichkeiten und nur in ihrer Kombination kann unsere Stadt erfolgreich den Weg zur klimaneutralen Kommune gehen. Die Pariser Klimaziele müssen zum unabdingbaren Maßstab unseres kommunalen Handelns werden!


Dazu braucht es aus unserer Sicht mehr Tempo beim Klimaschutz als bisher, ein kommunales Leitbild Klimaschutz und die Stelle eines/ einer KlimaschutzmanagerIn.


Die Freien Wähler und wir Grüne haben ein 7. Leitbild „Klimaschutzstadt Rottweil“ bzw. „Klimaschutz und nachhaltige Mobilität“ beantragt. Wir erwarten die angekündigte Umsetzung in der 2. Phase des GEK/ ISEK (Gesamtstädtisches Entwicklungskonzept/ Integriertes Stadtentwicklungskonzept) zeitnah im laufenden Jahr.


Den Antrag auf „ Schaffung der Stelle KlimaschutzmanagerIn“ haben wir Grüne in 2021 und 2022 gestellt. 2021 mehrheitlich abgelehnt, zogen wir unseren Antrag am vergangenen Mittwoch zurück, da unser Finanzierungsvorschlag kurzfristig obsolet wurde. Inhaltlich sind wir unverändert überzeugt davon, dass der Klimaschutz im Rathaus Rottweil ein prägendes Gesicht benötigt. Wie beispielsweise in Tübingen, ausschließlich für das Thema Klimaschutz, an der Verwaltungsspitze platziert. Zwar durchdringt auch der Klimaschutz inzwischen - ähnlich der Digitalisierung - das kommunale Verwaltungshandeln in Rottweil auf allen Ebenen, beispielhaft sei hier die energetische Sanierung städtischer Gebäude genannt oder die Schaffung von Planungsrecht für PV-Freiflächenanlagen, aber es fehlt aus unserer Sicht auch im vorliegenden Haushalt 2022 insbesondere eins: ein klares Konzept in Puncto Umwelt- und Klimaschutz. Wir wünschen uns, dass die Stelle „Koordination kommunaler Entwicklungspolitik“ sich neben Fairtrade und Kontaktpflege zu Eine- Welt-Organisationen fachlich sehr stark klimapolitisch, entlang der Frage globaler Klimagerechtigkeit ausrichten wird.


Ein Schwerpunkt meiner Fraktion im Rottweiler Gemeinderat wird auch in diesem Jahr das Thema Klimaschutz sein. Unsere zahlreichen 2021 formulierten Anträge zu u.a. PV-Freilandanlagen mit einem Plus an Biodiversität, Photovoltaik auf der JVA kombiniert mit Dachbegrünung, klimaneutrale Wärmewende in Stadtquartieren, um nur einige zu nennen, zeigen, dass es viele kommunale Aufgaben gibt, in denen klimaschutzrelevante Entscheidungen getroffen werden.

 

Nachhaltige Mobilität


Integrativer Bestandteil unserer Landesgartenschaubewerbung ist die Mobilitätswende, die erst durch die Förderkulisse, zu der wir durch RW 2028 Zugang haben, finanzierbar wird. Gemeinsames Ziel vieler Akteure in Rottweil ist die verkehrsberuhigte Innenstadt mit Vorrang für Radfahrer und Fußgänger und neuen Formen des ÖPNV, kurzum eine saubere, bezahlbare, bedarfsgerechte und vernetzte Mobilität. Die Vorstellungen davon, wie dieses Ziel erreicht werden kann sind vielfältig bis konträr, die Auseinandersetzung darum zeigte, dass wir in Rottweil Bürgerbeteiligung schon „besser“ konnten.


Wir waren die erste Fraktion, die zu einem Parkhaus Nägelesgraben klar „nein“ sagte. Eine breite, engagierte und kreative Bürgerschaft sah das genauso. Im Februar sind Werkstattgespräche zur Entwicklung konkreter Alternativen geplant. Das Nachdenken über ein Mobilitätskonzept reicherten wir Grüne mit etlichen Ideen an: Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit, Vorziehen der umwälzenden ÖPNV- Strategie 2030 des Landes in Rottweil zur Landesgartenschau 2028, Klimaschutz durch mehr Radverkehr, autonome Shuttlebusse und vieles mehr. Im Mobilitätsbereich wird im Laufe des Haushaltsjahres 2022 weitere personelle Unterstützung erforderlich sein, eine 2- jährige Förderung mit jährlich rund 70 TSD € ist bereits beantragt.

 

Bauwende (Klimaschutz)


Ein „neuer“ Schwerpunkt kommunalen Handelns im Zeichen des Klimaschutzes ist die Bauwende. Auch im vorliegenden Haushaltsplan investieren wir in die Erschließung neuer Baugebiete, traditionell sind Einfamilienhausgrundstücke im ländlichen Raum unverändert heiß begehrt. Einerseits stehen Bauwillige Schlange bei der Grundstücksvergabe, andererseits. schrumpft unsere Einwohnerzahl kontinuierlich und viele Häuser stehen leer oder werden nur noch zum Teil bewohnt. Die, die Mietwohnungen suchen, finden dagegen auch in Rottweil nicht genügend bezahlbaren Wohnraum. Wohnraum sollte vor allem im Bestand entstehen, Leerstände rufen nach kreativen Ideen zur Wiederbelebung, um der weitere Flächenversiegelung Einhalt zu gebieten und Bauwilligen Alternativen anzubieten. Tendenziell sollte der energetische Umbau Vorrang vor dem Neubau haben. Dazu müssen Leerstände ermittelt und mobilisiert werden, hilfreich können finanzielle Anreize (Vermieterprämien) sein oder eine kommunale Wohnungstausch/-börse: Alte wechseln in kleinere Wohnungen, gefördert durch Umzugsprämien oder in gemeinschaftliche Wohnmodelle. Gebäude können aufgestockt werden, um einer jüngeren Generation Wohneigentum ohne weitere Flächenversiegelung zu ermöglichen. Nachhaltiges Bauen mit gesunden und kreislauffähigen Materialien, Bauen mit der Natur nicht gegen sie, viele Stichworte, die bei uns immer noch kaum Beachtung im Wohnungsbau finden. Ganz im Gegenteil, beim Spaziergang über die „Spitalhöhe“ habe ich den Eindruck, dass das maximale Ausnutzen des Baufensters und das Bauen ohne Keller im Trend sind.


Die Diskussionen ums „Hölzle“ hier im Gemeinderat lassen uns über vieles nachdenken. Neue Baugebiete schaffen baulich Fakten von Jahrzehnte langer Bedeutung - also weit über das Jahr 2050 hinaus, in dem Klimaneutralität Standard sein soll. Für die klimaneutrale Wärmeversorgung neuer Baugebiete bieten sich Lösungen mit Einzelheizungen oder Wärmenetzen an (Geothermie, Umweltwärme, Solarthermie, Wärmepumpen, Biomasse...).


Ein weiter so wie bisher darf es nicht geben. Die örtlichen Bauvorschriften gehören fachlich überarbeitet, wo sie neuen Wohnraum und Klimaschutz behindern. Ein wichtiges und richtiges Zeichen sind die 3,5 Millionen €, die im vorliegenden Haushalt auf die Sanierungsprogramme „Stadtmitte“ und „In der Au“ entfallen.

 

Schluss


Liebe Anwesende,


bei aller Offenheit der Zukunft, eins ist leider gewiss: Corona zerrt auch weiterhin an unseren Nerven und zieht uns ganz schön runter.
Hoch ziehen könnten uns 2022 aber prickelnde Projekte: wir erwarten im April die Wettbewerbsideen für das Kerngebiet der Landesgartenschau, die Konturen des Mobilitätskonzepts werden bürgerschaftlich in Workshops geschärft und vieles mehr. Wir, die Grüne Gemeinderatsfraktion, freuen uns darauf, gemeinsam mit Ihnen, mutig aber nicht übermütig, viele Themen in Rottweil anzugehen oder fortzusetzen.
Ich bedanke mich abschließend für Ihre Aufmerksamkeit.


Bei der Verwaltung und den Kolleginnen und Kollegen des Rottweiler Stadtrates für die gute Zusammenarbeit und bei meinen Fraktionsmitgliedern, deren Freundschaft, Engagement und Teamgeist mir die Lokalpolitik so angenehm machen. Mein ganz besonderer Dank gilt abschließend Herrn Walter, Frau Heinze und Frau Hoffmann, stellvertretend für die gesamte Kämmerei, die uns erneut ein solides Zahlenwerk vorgelegt haben.


Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stimmt dem Haushalt 2022 zu.

 

 

 

 

expand_less